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HeXXen 1733 – erste Eindrücke

Vor einer Woche kam HeXXen 1733 bei mir an. Ich gebe zu, es war ein Impulskauf – sowohl die Aufmachung als auch das Thema sprachen mich an. Es geht um dunkle Mächte, Dämonen, Teufel und den Kampf der Menschen dagegen in einer Epoche, die mich schon immer fasziniert hat, dem Barock, wenn auch in einer seit fast 100 Jahren abweichenden Zeitlinie. Voller Vorfreude fing ich mit der Lektüre an.

The Good, …

Natürlich ist nichts perfekt, aber im Falle von HeXXen 1733 ist leider bis zur Publikation mehr als ein Missgeschick passiert. Fangen wir mal mit den positiven Aspekten an.

Das Buch ist von hervorragender Qualität. Die 40€ war es auf jeden Fall wert. Kunstledereinband mit Goldprägung; hochwertiges Papier; gelungene Illustrationen, die die Epoche vielfältiger darstellen als vergleichbare Populärpublikationen, wenn auch sehr weißhäutig, was aber sicher der Thematik geschuldet ist.

Die Regeln beinhalten schöne Ideen wie bis zu drei wählbare Rollen und später Professionen, die sich aus den gewählten Rollen ergeben. Von den Rollen und der Profession hängen wiederum die erlernbaren Kräfte ab. Außerdem ist HeXXen 1733 das bislang einzige mir bekannte Regelwerk, das die Art der Charakterkleidung regeltechnische Auswirkungen abseits eines Rüstungswerts haben lässt.

… the Bad, …

Ausschnitt aus dem Regelwerk, worin die Anrede von Spielerinnen geklärt werden soll.

Die Lektüre des Grundregelwerks habe ich mit Beiträgen bei Facebook begleitet. Es fällt mir schwer, heutzutage Texte, Bilder, Filme nicht aus feministischer Perspektive zu sehen, so dass mir gleich übel aufstieß, dass der Autor sich zwar der Thematik bewusst zu sein schien, aber den Aufwand vermeiden wollte, der mit sprachlicher Selbstdisziplin einhergeht, um Spielerinnen auch wirklich wörtlich zu erwähnen (Seite 9). In der Facebookdiskussion wurde das auch meiner Meinung nach gut auf den Punkt gebracht (sinngemäß): Ein Text, der ohne so einen Hinweis auskommt, kann ich problemlos im generischen Maskulinum lesen, denn ich vermute Nachlässigkeit und mangelndes Problembewusstsein. Ein Text mit so einem Hinweis zeugt zwar von Problembewusstsein, zeigt aber auch mangelndes Interesse an wirklicher Kenntnisnahme. Salopp gesagt: "Fuck off!"

Das war sicher nicht die beabsichtigte Wirkung.

Ausschnitt aus dem Regelwerk, worin alternative Bezeichnungen für Spieler, Charaktere und Spielleiter etabliert werden.

Die vermeintliche bessere Lesbarkeit wird dann ein paar Seiten gleich wieder mit Füßen getreten, indem extra in einem Textkasten Synonyme für Bezeichnungen eingeführt werden. Im nächsten Abschnitt gehe ich noch intensiver auf den didaktischen Aufbau des Regelwerks ein, aber hier möchte ich vorgreifen: Wir befinden uns mit dem Ausschnitt auf Seite 21, wir haben also schon einige KiByte an Text konsumiert, in denen beide Begriffe immer wieder auftauchen, ohne zu erklären, warum mal der eine, mal der andere Begriff genutzt wird. Als Leser hatte ich also erstmal Fragezeichen über dem Kopf, ob es einen Grund für die unterschiedlichen Bezeichnungen gibt (Spoiler: Nein, gibt es nicht), und musste die ganze Zeit im Hinterkopf behalten, ob die Unterscheidung noch relevant wird.

In Hinblick auf den Anspruch, bessere Lesbarkeit anzustreben, empfinde ich das als schlampig. Immerhin ließe sich das leicht in einer zukünftigen Auflage korrigieren, indem jedes Vorkommen von entweder "Spielleiter" oder "HeXXenmeister" erstmal durch das jeweils andere ersetzt wird. Eine inklusivere Sprache dürfte ein deutlich größeres Unterfangen sein.

Wirklich schade ist es deswegen, weil die Darstellungen von Held*innen recht ausgewogen ist. Hier werden Frauen auch mal bewaffnet und abseits der dauernden Klischeerollen dargestellt. Großes Lob an die Illustrator*innen. Auch inhaltlich betont der Autor immer wieder, dass es in der Welt von HeXXen 1733 selbstverständlich sei, dass auch Frauen alle Rollen übernehmen könnten, die Männer offenstünden – vielleicht mit Ausnahme des Papstes und der Kardinäle, aber die katholische Kirche als Bollwerk patriarchaler Strukturen im Spiel empfinde ich dann nicht als so dramatisch. Inquisitorinnen hingegen sind problemlos möglich.

Neben diesen Kritikpunkten fallen die gelegentlichen Satz- und Druckfehler nicht sonderlich ins Gewicht.

… and the Ugly.

Didaktisch empfinde ich das Regelwerk als Katastrophe. Es ist nicht immer ersichtlich, ob die Beschreibungen von Moden, Waffen und Bräuchen sich auf realweltliche Begebenheiten beziehen, die im Spiel Widerhall finden, oder ob die Beschreibungen allein spielweltliche Zustände wiedergeben. Deutlich schlimmer wiegt jedoch, dass das Regelwerk als "einfach" beworben wird (Seite 8).

Vermutlich ist es gar nicht unüblich, dass die Charaktererschaffung von der Regelwerksmechanik getrennt behandelt wird. Hier folgen auf 74 Seiten Regeln dann 77 Seiten zur Charaktererschaffung und Wertesteigerung. In den Regeln erfahre ich erstmal nichts darüber, in welchen Größen sich überhaupt die Werte für einen typischen SC so tummeln oder mit wie vielen Würfeln Proben bestritten werden. Ja, dort steht was von Attribut + Fertigkeitswert, aber in Hinblick auf die Frage nach der Größenordnung sagt mir so eine Angabe erstmal gar nichts. Für mathematisch weniger bewanderte Menschen mag das einerlei sein – mir ist das wichtig. Die Antwort darauf finde ich halt erst so 100 Seiten später.

Während ich den vorigen Absatz geschrieben habe, schlug ich eine zufällige Seite auf (Seite 42, entscheidet selbst, wie zufällig das war) und fand dort die Antwort auf die Frage, die mich über dutzende Seiten Kräftebeschreibungen (119-149 und 160-176) plagte: Wo finde ich die Erklärung dafür, was bei den Kräften immer in Klammern hinter der Bezeichnung angegeben wird (Beispiel: "Überlegene Fechtkunst (allgemeine Jägerkraft / Bande / Gestik")? Am Anfang des Abschnitts über Kräfte fand ich dazu nichts, nicht mal einen Hinweis darauf, dass ich die Regeln dazu auf Seite 42 fände. Und das lässt sich gut verallgemeinern: Es gibt wenige, ganz wenige Querverweise zu den relevanten Stellen. Zu viele Querverweise schaden der Lesbarkeit, schon klar, zu wenige jedoch machen das Verständnis jedoch unnötig schwer.

Unnötig kompliziert ist auch die Notation von Proben: "Att + Fw (Fertigkeit)" (Attribut + Fertigkeitswert (Fertigkeit)). Ich sehe keinen Vorteil gegenüber der Notation "Att + Fertigkeit". Die ersten paar Male hat es meinen Lesefluss grob gestört, später empfand ich es nur noch als Ärgernis. Was auch immer für die gewählte Notation sprechen mag, konsequenterweise hätte es dann "Aw (Attribut) + Fw (Fertigkeit)" heißen sollen. Eine Doppelnennung "Spielerinnen und Spieler" hätte der Lesbarkeit jedenfalls sicher nicht mehr geschadet.

Dann fuchst es mich, dass es zwischen Lebenspunkten und Schaden noch so Halblebenspunkte und Halbschaden gibt, und das jeweils in mehreren Geschmacksrichtungen. Es gibt auf der Bonusseite "Coups", die körperliche Tricks ermöglichen, "Ideen" für geistige Dinge, "Segnungen" für Würfeldinge und heilige Tricks, "Aktionspunkte" für Handlungen im Kampf (Rüstungswert ließe sich auch noch nennen, aber der ist nur das Komplement der Aktionspunkte zur 6). Zusätzlich gibt es noch "Puffer-Lebenspunkte", temporäre Lebenspunkte, die nach Ende eines Konflikts zurückgesetzt werden.

Auf der Malusseite gibt es "Lähmungsstufen", die die Aktionspunkte verringern, es gibt "innere Schadensstufen" und "äußere Schadensstufen", über die getrennt Buch geführt werden muss, aber letztlich die gleichen Auswirkungen haben und trotzdem unterschiedlich behandelt werden müssen, und "Malusstufen", die sich allgemein als Malus auf Proben auswirken. Als Gegenwert zu "Segnungen", die nur einen temporären Wert darstellen, gibt es "Verderbnis", die effektiv das Maximum an "Segnungen" begrenzt.

All das wechselwirkt mit einem Sammelsurium an Kräften, von denen manche nur bei bestimmten Würfelergebnissen genutzt werden können, andere sind in 10 Stufen ausbaubar und andere sind fast schon langweilig durch Ausgabe von "Coups", "Ideen" oder "Segnungen" anzuwenden, und Kleidungssets. Ja, Kleidungssets! Da scheiden sich bestimmt die Geister, ich find die Idee jedoch sehr erfrischend. Warum sollten auch nur alchimistische Tränke irgendwelche tollen Boni bringen, warum nicht auch Kleidung? Leider wirkt das nur sehr halbherzig umgesetzt und durch die Brille des 20./21. Jahrhunderts beschrieben. Sollte das Regelwerk irgendwann mal überarbeitet werden – an der Stelle könnten die Macher*innen mehr draus machen. Jedenfalls hatte ich nach dem ersten Lesen und anfänglichem Verstehen dieser Wechselwirkungen nicht das Gefühl, darüber jemals einen Überblick behalten zu können. Und ständig im Regelwerk nachzuschlagen, scheint mir den Spielfluss doch zu stark zu beeinträchtigen. Als Spieler*in mag das nicht so dramatisch sein, hat man doch selbst immer nur einen kleinen Ausschnitt aller Kräfte im Kopf zu haben.

Die im Regelwerk skizzierte Handhabung von NSC finde ich mit am abschreckendsten, was ich je gesehen habe. Es gibt zwar, ähnlich wie bei 7te See, eine Unterscheidung zwischen relevanten und weniger relevanten NSC, wobei letztere durch allein zwei Werte abgebildet werden, aber die relevanten NSC erfahren fast die komplette Regel-Aufmerksamkeit, die auch SC erfahren. Es wird an einzelnen Punkten (stark) vereinfacht, aber der Bau interessanter NSC wirkt eher wie Arbeit denn Spaß. Auch kann ich mir schwer vorstellen, einen NSC improvisiert aufzustellen. Natürlich kann ich als Spielleiter tun und lassen, was ich will, aber die Vorstellung der Macher*innen finde ich, wie geschrieben, abschreckend.

250 Seiten umfasst das Regelwerk, davon sind ungefähr 25 Seiten 10 sogenannten Archetypen vorbehalten, sofort spielbaren Charakteren auf Stufe 1. Reguläre Charakterbögen sind zweiseitig, also würde ich erwarten, dass ich dort auch 10 Charakterbögen finde. Stattdessen finde ich dort 10 Abschnitte für die Werte, die alle jeweils ungefähr ein Viertel einer Seite einnehmen. Der Rest sind Illustrationen, Charakterhintergründe und Prosa zu den Charakteren. Ohne Zweifel stimmungsvoll, aber ich kann mich nicht erinnern, dass Hintergründe und Prosa in der Charaktererschaffung Erwähnung fand über einen kurzen Zweizeiler hinweg. Mit diesen Archetypen wird ein nicht ansatzweise im Regelwerk erwähnter Anspruch an Charaktere und ihre Erschaffung gesetzt. Kann ich ignorieren, finde ich nur furchtbar ungeschickt. Wenn der Hintergrund irgendwie wichtig sein soll, dann gehört er meiner Meinung nach deutlich in den Prozess der Erschaffung eingebunden, was ich aber kaum im skizzierten Prozess erkennen kann.

Auch nicht lustig fand ich den mehrfach im Regelwerk auftauchenden Hinweis auf spätere Publikationen zur Vervollständigung des Regelwerks, z.B. behandelt das Grundregelwerk nur die Charakterstufen 1 bis 12, es soll aber noch deutlich darüber hinaus gehen (20? 25?).

Das Beste habe ich mir aber für den Schluss aufgehoben: Die Würfel.

Ausschnitt aus dem Regelwerk, Tabelle der Würfelflächen der verwendeten Würfel

HeXXen 1733 verwendet sechsseitige Würfel (W6), aber mit eigener Beschriftung. Kenne ich ja schon von Fate mit den dort verwendeten Fudge-Würfeln. Aber hier wurde nicht nur ein eigenes Konzept erstellt, sondern es wurden gleich mehrere eigene Beschriftungen der Würfelflächen vorgenommen. Der sogenannte HeXXenwürfel (1:2:3) hat drei leere Flächen, die Misserfolge darstellen, zwei Flächen mit Krähenköpfen für Erfolge und einen Stern für Esprit (für Espritkräfte oder als halber Erfolg). NSC nutzen keine Espritkräfte, deswegen hat der HeXXenwürfel für SL (3:3) drei Flächen für Erfolge. Januswürfel (3:3) haben drei leere und drei beschriftete Flächen und werden in Höhe errechneter Boni oder Mali mitgewürfelt. Je nach Vorzeichen gelten sie dann als zusätzliche Erfolge oder werden von den Erfolgen abgezogen. Segnungswürfel haben wiederum eine eigene Einteilung, 1:1:2:2. Das gilt natürlich auch für Blutwürfel, bei denen kommt hinzu, dass ich nur vermuten kann, dass die Wertigkeit der Flächen 0, 1, 1, 2, 2 und 3 ist - im Regelwerk wird nichts dazu geschrieben, außer dass die Anzahl der Blutstropfen der Wertigkeit entspricht, die ich nicht mit Sicherheit auf den Bildern erkennen kann. Und dann gibt es den Elixierwürfel mit der Aufteilung 2:1:1:1:1 – effektiv ist die 6 eines normalen W6 durch eine 1 ersetzt.

Bei Proben wird wie angedeutet mit einer Anzahl an HeXXenwürfeln gewürfelt, die sich aus Attribut und Fertigkeit ergibt. Bei der Lektüre hat es eine Weile gedauert, bis ich herausfand, wie viele Würfel das also sein werden. Spoiler: Es sind bis zu 10 Würfel. Attribute und Fertigkeiten spielen sich im Bereich bis 5 ab, was der Charakterbogen dank eines Freifeldes an der Stelle nicht wirklich nahelegt. Hätte ja auch wie bei DSA im Bereich bis 20 sein können.

So ein Päckchen *HeXXenwürfel* mit 10 *HeXXenwürfeln*, 5 *Januswürfeln* und je 1 *Blut-, Segnungs- und Elixierwürfel* geht momentan für 20€ über die virtuelle Ladentheke, denn im Einzelhandel werde ich die wohl kaum finden. Wir alle kennen das sicherlich, dass Spieler*innen in Sachen Würfel mitunter sehr eigen sein können und niemanden anderen damit würfeln lassen. Wollte ich also eine 4köpfige Spielrunde vollständig ausstatten, wären das 80€. Ich kann nur vermuten, dass die HeXXenwürfel für die SL in der SL-Box "Werkzeuge des Meisters" (50€) enthalten sind.

Eine Substitution durch reguläre W6 wird zwar durch die Tabelle nahegelegt, ich kann mir aber nicht vorstellen, dass damit eine schnelle Auswertung der Würfelergebnisse möglich ist. Ich gehe davon aus, dass während der Spieltestphase die Spielrunde mit normalen W6 gespielt hat. Im Zuge dessen werden sie wohl erkannt haben, dass angepasste W6 nicht nur besser aussehen (den Punkt gestehe ich gerne ein), sondern auch die Würfelauswertung beschleunigt. Da es an vielen Punkten im Regelwerk heißt "würfele [Januswürfel, Segnungswürfel, Blutwürfel, Elixierwürfel] mit" kann auch nicht einfach die Würfelzahl erhöht werden, sondern sie müssen ja optisch unterscheidbar bleiben.

Schluss

Wie die Macher*innen das Regelwerk "einfach" nennen können, ohne in schallendes Gelächter auszubrechen, kann ich nicht verstehen.

Ich finde es wirklich schade, dass HeXXen 1733 und ich nicht miteinander warm werden können. Die ohne Frage vorhandenen sehr guten Ideen (Kräfte in Abhängigkeit gewählter Rollen und Profession, regeltechnisch relevante Kleidung) und die Spielwelt können leider nicht über die vorhandenen Kritikpunkte hinwegtäuschen.

Bei den Teilzeithelden gibt es eine Rezension von Michael Fuchs, die einige meiner Kritikpunkte ebenfalls erwähnt, in Sachen "einfache Regeln" aber zu einem gänzlich anderen Schluss kommt. Hey, DSA 1 hat einfache Regeln, HeXXen 1733 nicht.

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